Himmlischer Fußball

Foto: pixabay.com, gemeinfreiEs soll einen Fuß­ball­gott geben, sagen sogar Men­schen, denen es nach ihrem Glau­ben ver­bo­ten ist, einen ande­ren Gott neben dem ihrer Haupt­re­li­gi­on zu haben. Ande­re wie­der­um sagen, Fuß­ball sei eine Reli­gi­on und heu­te mäch­ti­ger in ihrem Gebrauch als Islam und Chris­ten­tum zusam­men. Eini­ge orga­ni­sier­te Kon­fes­si­ons­freie wie­der­um mei­nen, die­se neue Welt­an­schau­ung mit ihren Auf­mär­schen, Ritua­len, Fah­nen und Gesän­gen len­ke von der Auf­klä­rung ab. Hat der Sie­ges­zug und der Spit­zen­platz die­ses Spiels gar etwas mit Huma­nis­mus zu tun? Das jeden­falls beja­he ich und behaup­te, Fuß­ball ist Teil der huma­nis­ti­schen Kultur.

Per­sön­lich bin ich eher Anhän­ger des ame­ri­can foot­ball und als ich noch in der Haupt­stadt leb­te der Ber­lin Adler und im Fern­se­hen der Green Bay Packers (auch weil dort die Fan­kul­tur viel tole­ran­ter ist und die Fans durch­ein­an­der sit­zen und nicht gezün­delt wird). Aber schon immer inter­es­sier­te mich auch beruf­lich die Ritu­al- und Fan­kul­tur des hier­zu­lan­de all­ge­gen­wär­ti­gen Mann­schafts­sports: Ein wich­ti­ger Sieg ist eine gro­ße Nach­richt wert. Tau­sen­de Begeis­ter­te put­zen sich her­aus, selbst Athe­is­ten- und Huma­nis­ten­häupt­lin­ge unter­bre­chen des­we­gen stra­te­gi­sche Beratungen.

Män­ner und immer mehr auch Frau­en aus allen Schich­ten und poli­ti­schen Rich­tun­gen, nahe­zu jeden Alters gera­ten in Ver­zü­ckung, schlie­ßen Wet­ten ab. Selbst Aka­de­mi­ker, sonst eher distin­gu­iert im Ver­hal­ten, ver­klei­den sich und malen ihre Gesich­ter in den Lan­des­far­ben. „Volk“ ver­sam­melt sich öffent­lich auf Stra­ßen und Plät­zen, in Sta­di­en, vor Lein­wän­den oder in Knei­pen, in Ober­we­sel, des Weit­blicks wegen, vor einer Breit­wand, um einer ziem­lich unnor­ma­len, oft sehr zufäl­li­gen, des­halb sehr trai­nings­be­dürf­ti­gen Kör­per­be­nut­zung zuzuschauen.

Selt­sam die­ses Spiel: Man benutzt hier die Füße, den Ober­kör­per, den Kopf, nur der Tor­wart die Hän­de oder wenn Ein­wurf ist, auch mal ein Feld­spie­ler. Es ent­schei­det, wie oft im wirk­li­chen Leben das Glück, wer tri­um­phiert oder lei­det. Wer sich für so etwas begeis­tert und hofft, dass wir Frank­reich schla­gen, benutzt, trotz man­cher sozi­al beding­ter Aus­fäl­le, kei­ne Flin­te. Man steht da in die­sem Sta­di­on und neben­an ein Holz­fäl­ler oder ein Inge­nieur oder ein Berufs­hu­ma­nist. Wo gibt es noch die­ses Gefühl der (zeit­lich end­li­chen, aber doch erleb­ten) Gleich­heit, auch der Tole­ranz, ver­bun­den mit dem Gefühl dazu­zu­ge­hö­ren oder, wie Mar­tin Buber schrieb: Gemein­schaft ist, wo Gemein­schaft stattfindet.

Eine der Vor­aus­set­zun­gen, dass Fuß­ball mach­bar wur­de, war ers­tens (ein Zei­chen von Huma­nis­mus?) die Ver­än­de­rung der Kriegs­tech­nik. Exer­zier­plät­ze in den Städ­ten wur­den nutz­los. Den Fried­rich-Lud­wig-Jahn-Sport­park in Ber­lin nann­ten mei­ne Kin­der noch „Exer“.

Dann war zwei­tens Pro­le­ta­ri­at nötig, Lohn­ar­bei­ter, wie jeder bes­se­re Fuß­bal­ler. Man konn­te so der Klas­se ent­flie­hen. Der Adel rei­te­te und ruder­te, das Bür­ger­tum turn­te, der Pro­let drosch den Ball – aus Spaß oder für Geld.

Kir­chen schau­en heu­te nei­disch auf die­se andäch­ti­gen oder rasen­den Mas­sen, mit ihren frei­wil­li­gen, selbst erfun­de­nen Choral­ge­sän­gen, ihren „Sicht­ele­men­ten“, Fah­nen, Fan­fa­ren, Trans­pa­ren­ten, Ver­klei­dun­gen, Faschings­mas­ken, Auf­mär­schen und Bli­cken zum Him­mel, bei Heil oder Unheil. Es gelingt aber kei­ner „Reli­gi­on“, das Gesche­hen zu ver­ein­nah­men: „Schal­ke ist unse­re Reli­gi­on“ hieß es vor eini­gen Jah­ren in einem Fan-Flugblatt.

Zwar neh­men inzwi­schen reli­giö­se Bekun­dun­gen zu, doch jeder Theo­lo­ge weiß: Das ist eine Kul­tur des Aber­glau­bens. Gott wird den Ball nicht len­ken. Er kann doch nicht auch noch Fuß­ball spie­len oder durch eine Madon­na Anwei­sun­gen über­mit­teln. Özils Gott ist zu allem Unglück auch noch ein ande­rer als der von … tja, wer outet sich schon als Christ? Lahm ist nicht mehr dabei. Die Sta­di­en hei­ßen „Dome“ und sehen auch immer mehr so aus. Was ist eine Kir­che doch für ein ein­di­men­sio­na­les Bau­werk! Wie lang­wei­lig ist doch die Insze­nie­rung, wie eine Humanistenvereinsversammlung.

Zu Sons­ti­gem ist eine Kir­che nicht viel nüt­ze, kein Kul­tur­haus, kein Markt­platz oder in wel­cher Kir­che singt Madon­na? Viel zu klein, selbst der Peters­dom. Wohl des­halb benut­zen Päps­te wie Udo Lin­den­berg oder Hele­ne die glei­chen Sta­di­en, da pas­sen mehr rein, das ken­nen die Leu­te. Das redu­ziert den Got­tes­dienst aber auf eine Art Fuß­ball, lässt ver­glei­chen, weil jeder, der will, ver­glei­chen kann, ob er der Ober­pries­ter bes­ser ist als der übli­che Stadionsprecher.

Doch all dies macht Fuß­ball nicht huma­nis­tisch. Es han­delt sich um ein Spiel, für vie­le die herr­lichs­te Neben­sa­che des Lebens. Die­ses Spiel sym­bo­li­siert jedoch, akzep­tiert und führt vor – unse­re gesell­schaft­li­chen Grund­tat­sa­chen: Arbeits­tei­lung, Schick­sal­s­un­ge­wiss­heit, Sta­tus- und Posi­ti­ons­wech­sel, Soli­da­ri­tät und Kon­kur­renz. Immer war­tet ein Ersatz­spie­ler, man will die Unter­klas­sig­keit ver­mei­den, will auf­stei­gen, muss dafür im Team arbei­ten, aber selbst sehr indi­vi­du­ell, ein­ma­lig sein.

Man lernt den Auf­tritt vom Leben zu unter­schei­den, kurz: Wir fin­den hier Demo­kra­tie und Befehl, sozia­len Kampf und Gleich­heit in der Grup­pe, aber auch Jün­ger­schaft, und Hel­den­ge­dan­ken und Hei­li­gen­ver­eh­rung – als ob dies Huma­nis­ten fremd wäre. Es gibt Lieb­ha­be­rei­en außer­halb schö­ner Grund­sät­ze. Und: Beim Fuß­ball gibt es noch die Frei­heit zum alko­hol­ge­stütz­ten, kol­lek­ti­ven Rausch, auch wenn man neu­er­dings das Rauch­ver­bot durch­set­zen will (klar, damit die Ban­de nicht mit dem Feu­er­zeug schmeißt, wenn die da unten Schei­ße spie­len). Jepp: Beim Fuß­ball ist da Abrot­zen vor Mil­lio­nen auf dem Rasen (von der Kame­ra beob­ach­tet) erlaubt, erwünscht, zeugt von Auf­op­fe­rung. Man zeigt die schweiß­trie­fen­den Leistungsträger.

Vor aller Augen ist es kein Makel zu wei­nen oder zu schrei­en. Da ver­blasst jeder Kar­ne­val, jede Wall­fahrt. Wir sehen den letz­ten Rest vor­zeig­ba­ren Aus­schei­dens von Kör­per­flüs­sig­kei­ten. Unser Trai­ner, ein Guru, fasst sich in den Schritt und riecht. Wir erin­nern uns, das soll auf­put­schen, bestimm­te Hor­mo­ne, Tes­to­ste­ron in ihrer Wir­kung beschleu­ni­gen. Das macht den Typ mensch­lich, Frau­en grin­sen, erken­nen in dem Trai­ner, was sie an dem ihren zu Hau­se auch mit­un­ter beob­ach­ten. Erlaub­te Ani­ma­li­tät ist sonst in unse­rer Kul­tur des Kör­per­dres­sings, der Klei­der­vor­schrif­ten und der Geruchs­dik­ta­tur bei Stra­fe ver­bo­te­nen öffent­li­chen Anse­hens tabu.

Das Wich­tigs­te aber, was wir sehen, ist der Sieg der Ratio­na­li­tät und der Regel­haf­tig­keit im Umgang mit­ein­an­der. Kein Pries­ter ach­tet auf Moral und Glau­ben. Es gibt den Schieds­rich­ter. Die­ser ist, wie der Name schon sagt, eine Art her­um­ren­nen­der Jurist, der auf die Ein­hal­tung der Spiel­ge­set­ze ach­tet, der Urtei­le spricht und sofort voll­streckt, der Betrü­ge­rei­en und Fouls bestraft, ganz schnell, sobald er sie erkennt, selbst Beru­fungs­ge­rich­te gibt es, und Fehl­ur­tei­le alle­mal. Es sind auch die­se Regeln, auf denen die Ritua­le auf­bau­en, nicht das Spiel an sich. So müsst Ihr spie­len, so nicht! „Wir woll‘n euch kämp­fen seh’n“ – für das vie­le Ein­tritts­geld. Alle reden mit, jeder kann das hei­li­ge Abseits erklä­ren, auf sei­ne Art.

Selbst­re­dend weiß ich auch Nega­ti­ves zu berich­ten und kann lan­ge schwät­zen über Fuß­ball als Opi­um des Vol­kes, sei­ne Ver­schleie­rungs­funk­tio­nen, sei­nen (schwin­den­den) Macho-Wahn, sei­ne Homo­pho­bien, Poli­ti­ker­an­bie­de­run­gen, die Zer­stö­rung der Krea­ti­vi­tät durch Mer­chan­di­sing und Sky, die Unter­drü­ckung der Pro­test­kul­tur, die Macht der Braue­rei­en … Doch da ich neu­er­dings als Pes­si­mist gel­te, will ich mich auf das Posi­ti­ve beschränken.

Zu den Hoo­li­gans will ich abschlie­ßend das zitie­ren, was der­je­ni­ge Huma­nist über die­se „Halb­star­ken“ geschrie­ben hat, der das Wort 1906 nach Deutsch­land ein­führ­te, übri­gens als „rus­si­sches“ Phä­no­men (russ. chu­li­gan). Das war Arthur Pfungst, auf den auch die Idee Huma­nis­ti­scher Aka­de­mien zurück­geht. Er nahm Bezug auf die dama­li­gen rus­si­schen „Schwarz­hun­der­ter“, pro­le­ta­ri­sche, uni­for­mier­te, prä­fa­schis­ti­sche Schwa­dro­nen Jugend­li­cher, die über Arme, Juden und Aus­län­der herfielen.

Pfungst sag­te, die­se Radau­brü­der, Rauf­bol­de und Roh­lin­ge sind „das Erzie­hungs­de­fi­zit der Völ­ker“ und nur „durch Erzie­hung und sozia­le Für­sor­ge … zu besei­ti­gen“. Der von ihm gezeig­te Aus­weg bestand in kul­tu­rel­ler Bil­dung. Nur sie kön­ne Gewalt­an­grif­fe ver­hin­dern, denn ein Hoo­li­gan sei ein nicht genü­gend gebil­de­ter Mensch. Wenigs­tens das ist doch dann ein ziem­lich direkt huma­nis­ti­scher Abge­sang in die­sem Text.

(Zuerst 2012 auf diesseits.de, dort nicht mehr ver­füg­bar, in die­ser Fas­sung beim hpd)

 

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